Erwerbsminderungsrente und Sehbehinderung! Was Sie wissen sollten?

Erwerbsminderungsrente und eingeschränktes Sehvermögen: ein Urteil des Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 22.03.2016, Aktenzeichen: L 13 R 2903/14

Was viele nicht wissen, ist, dass bei einer Erwerbsminderungsrente nicht nur die Frage der Erwerbsfähigkeit geprüft wird, sondern auch die so genannte Wegefähigkeit.

Erwerbsminderungsrente und Wegefähigkeit

Ist der Betroffene Antragsteller einer Erwerbsminderungsrente nicht mehr wegefähig, hat er Anspruch auf eine volle oder teilweise Erwerbsminderungsrente, auch wenn er mit der körperlichen Beeinträchtigung mehr als 6 Stunden arbeiten gehen kann.

Die Wegefähigkeit wird im Rahmen einer gerichtlichen Begutachtung festgestellt. Insoweit wird bei den Betroffenen ein Test durchgeführt, ob er in der Lage ist, mindestens vier mal eine Wegstrecke von 500 m in der üblichen Zeit zurückzulegen.

Ist er dazu nicht mehr in der Lage, weil er zum Beispiel krankheitsbedingt oder aufgrund von Schwerbehinderung nicht mehr laufen kann, ist der Betroffene im Sinne der Rechtslage nicht mehr wegefähig und damit erwerbsgemindert. Er hat dann eine Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente.

Blind: was ist mit der Wegefähigkeit?

In unserem vorliegenden Praxisfall hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg zu Gunsten des Klägers entschieden. Es urteilte, dass der Kläger aufgrund seiner Sehbehinderung nicht mehr in der Lage ist, ohne Gefahr für sich und andere, die üblich geforderte Wegstrecke zur Arbeit zurück zu legen. Damit liegt die Wegeunfähigkeit vor. Der Kläger hat zwar anlässlich einer Begutachtung angegeben, dass er noch allein einkaufen kann, selbständig zu Fuß zum Untersuchungstermin gekommen ist und auch selbst viel spazieren geht.

Dennoch hat das Gericht nach Befragung des Gutachters herausgefunden, dass der Kläger, wenn er zu Fuß unterwegs ist, aufgrund seiner sehr starken Sehbeeinträchtigung im Straßenverkehr und bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln gefährdet ist.

Erschwerend kommt noch hinzu, dass der Kläger bei schlechter Beleuchtungssituation wie Dunkelheit oder Nebel Hindernisse auf dem Weg nicht richtig erkennen kann. Damit steht fest, dass der Kläger in seiner Gehfähigkeit erheblich reduziert ist und ohne Gefährdung anderer und sich selbst allein keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzen kann.

Die Beklagte wehrte sich: Ohne Erfolg!

Die Deutsche Rentenversicherung wollte die Erwerbsminderungsrente nicht zahlen. In der zweiten Instanz erhielt sie das Urteil.

Was sagt das Bundessozialgericht zur Wegefähigkeit?

Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch die Fähigkeit eine Arbeitsstelle aufzusuchen.

Eine Einschränkung der Wegefähigkeit liegt vor, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, täglich vier mal Wegstrecken von knapp mehr als 500 m mit einem zumutbaren auf Aufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen.

In einer Entscheidung vom 12. Dezember 2006 hat das Bundessozialgericht geurteilt, dass die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr auch dann erheblich beeinträchtigt ist, wenn der Betroffene nicht ohne besondere Gefahr für sich und andere die Fußwege zurück verlegen mag. Darauf begründen sich in vielen Entscheidungen anderer Gerichte auch Ergebnisse zur Wegefähigkeit wegen körperlicher Behinderungen.

Der Gutachter entscheidet!

Grundsätzlich wird die Wegefähigkeit nach gerichtlichem Gutachten geprüft oder sollte geprüft werden.

Wir selbst haben unser Praxis einen Fall, in dem die Klägerin nach einer Begutachtung das Ergebnis kam, dass sie wegefähig sei. Diese Feststellung war in den medizinischen Gutachten nicht nachvollziehbar.

 

Was hat der Gutachter getan-oder besser was hat er nicht getan?

Der Gutachter hat die Wegefähigkeit unserer Mandantin nicht getestet. Er hat auch nicht berücksichtigt, dass unsere Mandantin zur Begutachtung mit Gehhilfen gekommen ist.

Hieran brennt der Streit. Der Gutachter hat selbst auf Nachfrage des Gerichts schriftlich mitgeteilt, dass er aufgrund verschiedener medizinischer Indikation unserer Mandantin von ihrer Wegefähigkeit ausgeht.

Die Wegefähigkeit muss aber getestet werden. Insbesondere dann, wenn eindeutig sichtbare körperliche Beeinträchtigungen in der Gehfähigkeit vorhanden sind.

Interessant an diesem Fall ist, dass wir von unserer Mandantin erfahren haben, dass der Gutachter selbst, aufgrund körperlicher Behinderung, nicht laufen kann. Wir haben den Eindruck, dass das Gericht sich der Auffassung des Gutachters angeschlossen hat.

Dies geht so nicht, denn der Gutachter oder ein einer seiner Hilfspersonen hätte die Wegefähigkeit prüfen müssen, indem man einfach mit unserer Mandantin eine entsprechende Wegstrecke abgelaufen wäre. Wir werden hierzu das Gericht befragen und je nach Situation Beweisanträge stellen.

Unser Fazit

Kämpfen lohnt sich. Das Recht auf eine Erwerbsminderungsrente ist kein Almosen, sondern ein Recht, was der Versicherte aus dem Sozialgesetzbuch Nr. 6 herleiten kann. Daher müssen die Ansprüche und die Voraussetzung für eine Erwerbsminderung sorgfältig geprüft werden. In medizinischen Begutachtungen werden oftmals erhebliche Fehler gemacht.

 

Haben Sie Fragen zu ihrer Erwerbsminderungsrente oder möchten Sie einen Antrag stellen, nutzen Sie unser Kontaktformular oder rufen uns einfach unter 0345/ 6782374 an.

 

Peter Knöppel

Peter Knöppel

Rechtsanwalt & Staatl. geprüfter Rentenberater bei anwalt sofort
Inhaber der Rechtsanwalts-und Rentenberatungskanzlei mit Sitz in Halle.
Rechtsanwalt , Fachanwalt für Sozialrecht und gerichtlich zugelassener Rentenberater
Spezialisiert auf gesetzliche Rente, Unfallrente, Schwerbehindertenrecht und Sozialrecht allgemein.
Peter Knöppel

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